Schließt ein Betriebsratsvorsitzender ohne Beschluss eine Betriebsvereinbarung ab, so ist diese wirksam, wenn der Betriebsrat davon wusste und eine Rechtsscheinhaftung eintritt. Dann muss sich der Betriebsrat das eigenmächtige Auftreten des Vorsitzenden zurechnen lassen.
Eigentlich gilt die Regel, dass nichts ohne Beschluss des Betriebsrats geht. Der Vorsitzende ist eben gerade nicht der Vertreter des Gremiums nach außen – jedenfalls nicht „im Willen“. Aber es gibt öfter Ausnahmen als man denkt.
Das war der Fall
In einem Unternehmen der Stahlindustrie wird im Jahr 2017 das Entgeltsystem durch eine Betriebsvereinbarung komplett umgestellt. Ein angestellter Fräser erhält nach der neuen Eingruppierung ein Gehalt von 3.446 €, das damit ca 200 € geringer ist als vorher. Dagegen wendet er sich.
Er ist der Auffassung, dass die Umstellung auf das neue Entgeltsystem nicht rechtswirksam erfolgt sei. Die Betriebsvereinbarung sei nicht wirksam zustande gekommen, da kein Betriebsratsbeschluss zugrunde lag. Die Betriebsparteien hätten ihre Regelungskompetenz gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG überschritten. Das Mitbestimmungsrecht beziehe sich auf die Verteilung des Geldes, nicht auf eine Senkung des Lohnniveaus.
Das sagt das Gericht
Das LAG gibt dem klagenden Fräser nicht recht.
Die Betriebsvereinbarungen zum neuen Entlohnungssystem sind formell ordnungsgemäß zustande gekommen. Zwar fehlt ein Beschluss des Betriebsrats. Der Vorsitzende hat damit eigentlich unterzeichnet, ohne eine Vollmacht zu besitzen. Es tritt hier aber der Fall der sog. Rechtsscheinhaftung ein. Der Betriebsrat haftet danach für ihn, trotz fehlender Vollmacht.
Eine solche Rechtsscheinhaftung liegt vor,
- wenn der Betriebsrat das Auftreten des Betriebsratsvorsitzenden kannte bzw.
- wenn die Mehrheit der Mitglieder von dem Auftretenden des Vorsitzenden gewusst hat oder hätte wissen müssen
- oder wenn der Vorsitzende zunächst erkennbar als Vertreter ohne Vertretungsmacht auftritt, der Betriebsrat sich aber verschweigt, so dass der B. von einer Genehmigung ausgehen kann.
Die Begründung für eine solche Vertrauenshaftung liegt darin, dass es sonst für Außenstehende faktisch unmöglich ist zu erkennen, ob der Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung eine wirksame Beschlussfassung zugrunde liegt oder nicht. Es entstünde – so das Gericht – zu viel Rechtsunsicherheit.
Das muss der Betriebsrat wissen
Die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung sind ja durchaus umstritten. Denn damit wird der Betriebsrat als Gremium für ein eigenmächtiges und damit eigentlich rechtswidriges Handeln seines Vorsitzenden haftbar bzw. er ist an dessen Erklärungen gebunden. Aber so ist es eben mal mit der Interessenabwägung. Man will eben die Geschäftspartner – hier den Arbeitgeber – auch ein wenig schützen, sofern dies auf die Richtigkeit der Erklärung des Vorsitzenden vertraut haben. Das muss man als Gremium bedenken.
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Quelle
LAG Düsseldorf (16.12.2021)
Aktenzeichen 5 Sa 752/19